Maschinenpoesie

Redaktion Frank Wendler
Redaktion Frank Wendler

Maschinenpoesie ist ein kluger Titel für eine Ausstellung im Strauhof, die das künstlerische Spiel mit Schreibmaschine, Computer und KI präsentiert.

Ihm folgten die Dadaisten, die mit ausgeschnittenen Wörtern aus Zeitungen Zufalls-Texte erzeugten. Und auf ihren Schultern versuchten die Surrealisten mit ihrer «écriture automatique», sich in menschliche Schreibautomaten zu verwandeln. In den 1950er-Jahren weckten die ersten Computer die Experimentierlust einer neuen Generation von Schreibenden und am Horizont stand die durchaus erschreckende Möglichkeit, dass nicht der Mensch, sondern die Maschine Massstab der Kreativität werden könnte.
 

Die Ausstellung skizziert diese künstlerischen Versuche und widmet zwei Prota­gonisten der Schreibmaschinenkunst besondere Aufmerksamkeit: dem Schweizer Schriftsteller Reto Hänny und der deutschen Künstlerin Ruth Wolf-Rehfeldt. Und natürlich findet die Künstliche Intelligenz (KI) als neueste Technik in diesem Spektrum Fürsprecher und Apokalyptiker. Perlentaucher, das digitale Kulturmagazin, listet momentan 128 aktuelle Bücher zum Thema auf – allerdings bisher kein einziges ausschliesslich von KI geschriebenes. Aber das kann ja noch kommen.
 

Im zweiten Teil der Ausstellung stehen eine Frau und zwei Männer aus den drei deutschsprachigen Ländern exemplarisch für die Poesie mit Schreibmaschine, Computer und KI. Die Österreicherin Marianne Fritz ging in ihrem Monumentalwerk Naturgemäss an die Grenzen der Lesbarkeit. Der Schweizer Texttüftler Beat Gloor nutzte den Computer für Sprachexperimente mit einsilbigen Wörtern. Und der Deutsche Hannes Bajohr erläutert, wie er GPT-J und GPT-NeoX gefüttert hat, um den Roman «Berlin, Miami)» zu verfassen - der mit durchaus originellen Wendungen verblüfft: «Wie lange ich schon ein Nichtmehr bin. Jeden Tag bin ich früher vorbei.»
 

Mitte Januar 2024 wurde die japanische Schriftstellerin Rie Kudan mit dem prestigeträchtigen Akutagawa-Preis ausgezeichnet, In ihrer Dankesrede sagte sie, dass ungefähr fünf Prozent des Textes direkt von generativer KI geschrieben wurde. Doch könnte eine KI auch einen kompletten Roman schreiben? Vieles ist Handwerk. Aber Stil zu lernen, ist für eine KI noch gleichbedeutend mit 'Stil imitieren. Dass eine KI einen eigenständigen, unverwechselbaren Stil entwickelt, ist nach heutigem Stand schwer vorstellbar. Und das ist, aus Sicht von Schreibenden, doch ziemlich tröstlich.

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Titelbild: Ruth Wolf-Rehfeldt, «Stillleben», ca. 1975 | © The Estate of Ruth Wolf-Rehfeldt and ChertLüdde, Berlin.

Von Frank Wendler am 19. September 2024 veröffentlicht.

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