«Ich bin wü ü ü ü ü ü ü ü ü tend»

Ein Dialog zwischen der Schweizer Künstlerin Mai-Thu Perret und der ikonischen Dadaistin Sophie Taeuber-Arp.

Sophie Taeuber-Arps (1889 – 1943) Bildnis zierte lange Zeit die 50-Franken-Note in der Schweiz. Dennoch ist ihr Name vielen Menschen kein Begriff. Die Appenzellerin war Schneiderin, Architektin, Möbeldesignerin, Zeichnerin, Malerin, Plastikerin, Tänzerin und Lehrerin an der Gewerbeschule Zürich. Und sie war die Frau von Maler, Bildhauer und Lyriker Hans Arp. Wie so vielen Frauen im Dadakreis blieb ihr die Anerkennung lange verwehrt. Als Vertreterin der konkreten, rhythmisch-geometrischen Kunst zählt sie heute zu den bedeutendsten Künstler:innen der Avantgarde im 20. Jahrhundert und ist als Vorbild heutiger Feminist:innen anzusehen.

Die Kuratorin Salome Hohl hat aus einer Edition von 500 persönlichen Briefen von Taeuber-Arp zwölf ausgewählt, zu offenen Themenfeldern geordnet und gemeinsam mit der Schweizer Künstlerin Mai-Thu Perret auf einer sechsteiligen Malerei – dem Paravent – platziert. Die Arbeit von Perret ist multidisziplinär und jongliert virtuos mit unterschiedlichsten künstlerischen Arbeitstechniken. Sie fühlt sich sowohl in traditionellen kunsthandwerklichen Medien, als auch in der performativen und installativen Praxis zu Hause. Für die Ausstellung produzierte Mai-Thu Perret zwei neue Arbeiten, die Neonarbeit und den Paravent, die sich auf Taeuber-Arps Schaffen beziehen. Zwei ältere Werke mit Referenz auf die Dada-Pionierin, der Wollteppich und eine kleinformatige Malerei, sowie eine von Perret initiierte Leihgabe von Elsi Giauques Demoiselle komplettieren die Schau. Den Werken Mai-Thu Perrets treten ausgewählte Arbeiten Sophie Taeuber-Arps und Dokumente aus ihrem Schaffen, Leben und Kontext gegenüber.

Der Ausstellungstitel «Ich bin wü ü ü ü ü ü ü tend» ist ein Zitat aus einem Brief von Taeuber-Arp an ihren Mann Hans Arp, in dem sie sich über das effekthascherische Verhalten einiger Kollegen echauffierte, die sich radikale Künstler nannten. Zusätzlich vermittelt sie in ihrem Schreiben ihre Perspektive auf Dada und deren Exponenten.

In ihren Briefen erscheint sie als emanzipierte, gebildete und mutige Frau, die sich der Kunst verschrieb und sich nicht scheute, ihre eigene Meinung zum Ausdruck zu bringen. Darin zeigt sich auch das breite und vielfältige Künstler:innen-Netzwerk, über das Taeuber-Arp verfügte und das weit über den Dadakreis hinaus ging. Mit den Jahren entwickelte sie sich zu einer Pionierin der abstrakten Kunst.

Der Dialog zwischen Mai-Thu Perret und Sophie Taeuber-Arp ergibt sich nicht nur aus den zahlreichen Referenzen an die Dada-Pionierin, sondern auch dadurch, dass Perret abstrakte Kunst praktiziert und reflektiert. Sie hat die Geschichte der Abstraktion verinnerlicht in Form eines vielschichtigen Kunstzugangs, der changiert zwischen der Suche nach Geistigem und der Reaktion auf soziale Reformen und politische Bewegungen. Für Mai-Thu Perret ist Abstraktion auch mit der Suche nach Freiheit verbunden.

Die Moderne wollte Kunst mit Schwerpunkt auf geometrische Abstraktion zur universell lesbaren Sprache erheben. Hier fand Mai-Thu Perret einen literarischen Zugang zum Werk von Taeuber-Arp. Unter anderem liess sie sich von der «Cut-Up» Technik des amerikanischen Schriftstellers William S. Burroughs inspirieren, der durch Zerschneiden und erneutes Zusammenfügen von Texten zufällige und assoziative neue Erzählungen kreierte. Perret fand bei Dada ähnliche Verfahren: Laute, Klänge und Bilder wurden als Elemente aufgefasst und collagiert. Auch für Sophie Taeuber-Arp bedeutete das Zusammensetzen von Formen und der neue Umgang mit alltäglichen Materialien ein Versuch, neue Strukturen zwischen Ausbruch und Ordnung zu schaffen. Sie spielte mit geometrischen Formen, die harmonische Kompositionen suchen, aber immer Elemente aufweisen, die aus der Reihe tanzen.

Sophie Taeuber-Arp entwarf alles mit der gleichen Hingabe: Teppiche, Leuchten, Dosen, Marionetten, Kücheneinrichtungen, Schreibtische, Bilder, Skulpturen, Innenräume oder Häuser. In einem Vorwort zum Unterricht im Zeichnen für textile Berufe schrieb sie: «Den Wunsch, Dinge zu bereichern und zu verschönern, kann man nicht materialistisch deuten, also im Sinne ihren Besitz an Wert zu erhöhen, sondern er entspringt dem Trieb nach Vervollkommnung und schöpferischer Tat». Mai-Thu Perret hat ein Übungsblatt mit Mustern aus dieser Unterrichtsmappe in eine Neonarbeit übersetzt. Damit überführte die Künstlerin ein Muster aus dem traditionell weiblich konnotierten Textilhandwerk in ein Medium aus der Tradition der Minimal-Art, die männlich dominiert war. Mit dem Wollteppich referenziert Perret auf die Kunstrichtung Fiber-Art, die mit der feministischen Bewegung während der 1960er und 1970er Jahre revolutioniert wurde und auf die bekanntesten Fiber-Art-Künstler:innen Elsie Giauque und Gertrud Sonderegger, die beide Schülerinnen von Taeuber-Arp waren und deren Arbeiten in der Ausstellung ebenfalls Platz finden.

(Quelle: Ausstellungstext zu Sophie Taeuber-Arp / Mai-Thu Perret, Cabaret Voltaire)

Exhibition view Sophie Taeuber-Arp / Mai-Thu Perret «Ich bin wü ü ü ü ü ü ü ü tend», Cabaret Voltaire 2022; Mai-Thu Perret, Untitled (Different Ways), 2022. Photo: Cedric Mussano

Cabaret Voltaire

«Ich bin wü ü ü ü ü ü ü ü tend», Sophie Taeuber-Arp / Mai-Thu Perret

In der Ausstellung «Ich bin wü ü ü ü ü ü ü ü tend» treten ältere und neu produzierte Werke von Mai-Thu Perret in den Dialog mit Sophie ...

Dauerausstellung

Von Simone Liedtke am 13. April 2023 veröffentlicht.

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