Er sagt | Sie sagt: Zwischen Dante Alighieri und Britney Spears

Zwei Rüping-Fans im Schauspielhaus. Und dann? Ein magisches Klavier, viel unerfüllte Liebe und einfach unglaublich guter Text.

Er sagt:

Viel wird in letzter Zeit gejammert über das Schauspielhaus. Oder das Zchauspielhaus, wie sie sich angeschrieben haben und wie ich den Namen seither kindisch konsequent ausspreche. Ein Publikumsschwund wird beklagt und die Schuld ist schnell zugewiesen: Es müsse an der woken Ausrichtung der neuen Intendanz liegen. Ich hätte auch keine Lust, Eintritt für politische Belehrungen zu bezahlen. Meine Erfahrung bisher ist jedoch eine ganz andere: Wokeness hin oder her, ich habe seit der neuen Intendanz am Zchauspielhaus so viele grossartige Inszenierungen gesehen wie seit Jahren nicht mehr.

Eine davon ist «Das neue Leben». Christopher Rüping inszeniert da einen 1293 entstandenen Text von Dante Alighieri. Für alle, die den nicht kennen: Dante ist so was wie der Goethe von Italien. Sein Opus Magnum ist ein zäher Schinken, mit dem man heute die Gymischülerlis plagt («Faust» bzw «Divina Commedia») und sein Jugendwerk handelt davon, dass er bei einer Frau abblitzte («Die Leiden des jungen Werther» bzw eben das inszenierte «Vita Nova»). Wobei Dante es genau genommen nicht mal bis zum Abblitzen schaffte.

Die Geschichte in «Das neue Leben» ist so simpel wie faszinierend: Dante ist so dermassen in eine Frau verliebt, dass er es nie fertigbringt, sie anzusprechen, jahrelang. Und dann stirbt sie. Obwohl ich das von Anfang an aus dem Programmheft wusste, bin ich in dem Moment dennoch ins Mark erschüttert. Das ist grosses Theater. Und ein grossartiger Text. An einigen Stellen hätte ich mir gewünscht, sie würden diesen wunderbaren Text mehr auskosten, mehr spielen. Insgesamt aber ist das Stück wirklich sehenswert und guess what: Im Februar ist Wiederaufnahme. Nicht verpassen!

 

Sie sagt:

Ich könnte viele Gründe nennen, weshalb sich ein Besuch dieses Abends lohnt, aber an dieser Stelle möchte ich mich auf einen beschränken: Das Klavier. Unscheinbar steht es auf einer schnörkellosen Bühne, fast so, als hätte jemand vergessen, es wegzuräumen. Bald jedoch offenbart sich seine Daseinsberechtigung: Es spielt von selbst. Ein Klavier als echter Anspielpartner, Gegenspieler, Gesprächspartner habe zumindest ich noch nie auf einer Bühne gesehen. Vielleicht wenn ein:e Pianist:in daran Platz nehmen würde, aber so glaubt man sich fast in einem Animationsfilm und wäre nicht erstaunt, wenn der schwarze Holzkasten plötzlich zu sprechen anfinge. Die Aufgabe des Klaviers ist es, das Bühnengeschehen mal feinfühlig-taktvoll, mal heiter-schelmisch zu begleiten. Zusammen mit den Schauspielenden interpretiert es Dantes Liebesgedichte als aufregend arrangierte Popsongs von Britney Spears, Natasha Bedingfield oder Meat Loaf und sagt uns damit: Die Form mag sich verändert haben in den letzten 729 Jahren, die Sehnsüchte aber sind die gleichen geblieben.

 

Das neue Leben – «where do we go from here»

Schauspielhaus Zürich
Frei nach Dante Alighieri, Meat Loaf & Britney Spears
Auf Grundlage einer Übersetzung von Thomas Vormbaum
Inszenierung: Christopher Rüping
Ein Gastspiel des Schauspielhaus Bochum


Weitere Vorstellungen im Februar und März 2023

Von Rebekka & Sebastian am 08. Dezember 2022 veröffentlicht.

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