Yoko Ono lädt ein

Bis Ende Mai ist die Ausstellung von Yoko Ono im Kunsthaus noch zu sehen. Sprich: zu erfahren.

Ein Kind rennt in eine Plexiglasscheibe (‘Amaze’). Ein Mann klebt Porzellan so sanft zusammen, als wären es kleine Lebewesen ('Mend Piece'). Drei Frauen lesen Geschichten von der Gewalt, die andere Frauen erlebten, und weinen ('Arising'). Eines ist sofort klar: Diese Ausstellung ist nicht zum Konsumieren da. Sie ist kein schneller Schmaus, der schön anzugucken ist. Sie ist ein Mehrgänger, den man selber improvisieren darf und soll. Und der in grossen Teilen in der eigenen Imagination stattfindet und trotzdem satt macht.

Als Besucher*in von Yoko Onos Ausstellung This Room Moves at the Same Speed as the Clouds wandelt der eigene Geist zwischen zwei Aggregatzuständen, zwischen greif- und unsichtbar. Ein Beispiel: 'A Hole' (2009). Da ist das Handfeste: Ein Einschussloch in einer Glasscheibe. Gleichzeitig wird die Vorstellungskraft aktiviert mit der Aufforderung: Begib dich auf die andere Seite der Scheibe und blicke durch das Loch. Auf einer Seite ist man die beschossene, auf der anderen Seite die schiessende Person. Simpel, aber eindrucksstark – und im Kontext der Gegenwart besonders berührend.

Dieser Eindruck zieht sich durch die ganze Ausstellung. Obwohl mehrheitlich Frühwerke Yoko Onos gezeigt werden, aus den 60er- und 70er-Jahren, wirken sie nie wie aus einer anderen Zeit. Die zentralen Themen Feminismus und Frieden sind nach wie vor aktuell und dringlich. Yoko Onos Werke sind spielerisch, oft auch humorvoll und sie laden zum Mitmachen, zum Mitdenken ein. Überall stehen Tischchen mit der Aufforderung, die eigenen Gedanken zu einem Werk zu notieren.

Überhaupt passiert gefühlt das Meiste in dieser Ausstellung im eigenen Kopf. Das Schöne daran ist: Die Ausstellung bleibt somit nicht im Museum. Sie wird durch die Erkenntnisse und Erlebnisse und Imaginationen Teil von einem selbst. Man nimmt sie mit ins eigene Leben. Die Publikation 'Grapefruit' (1964) ist voller Aufforderungen und Ideen zu Performances, die beim Lesen unweigerlich im inneren Auge zum Leben erwachen. Etwa 'Laugh Piece': Lache eine Woche lang. Oder 'Smoke Piece': Rauche alles, was du kannst. Auch dein Schamhaar. Auch schön, 'Plane Piece': Miete ein Flugzeug. Lade alle ein. Lass sie ihren Willen schreiben, bevor sie einsteigen.

Mein persönliches Lieblingswerk: 'Glass Keys to Open The Skies' (1967). Ein durchsichtiges Schlüsselkästli mit vier durchsichtigen Schlüsseln darin. Seither beschäftigt mich die Frage: Was würde es bedeuten, wenn man den Himmel, unsere Idee des Himmels, öffnen könnte? Was würde sich dahinter verbergen? Es ist, als begleite Yoko Ono einen durch die Ausstellung und flüsterte stets ins Ohr: “Imagine.” (Sie war es übrigens, die ihren Mann John Lennon zum gleichnamigen Lied inspirierte.)

This Room Moves at the Same Speed as the Clouds ist eine einzige Einladung. Zur Auseinandersetzung mit sich selbst. Mit der Welt. Und der eigenen Rolle in ihr.

Yoko Ono, Cut Piece, 1964/65, Performance Carnegie Recital Hall, New York City, 21. März 1965, Foto: Minory Niizuma, © Yoko Ono

Kunsthaus Zürich

Yoko Ono: This room moves at the same speed as the clouds

Das über fünfzigjährige künstlerische Œuvre wird mit einem frischen Blick von heute neu belebt und die Besucher:innen werden mitinvolviert.

Dauerausstellung

Von Gabriella Alvarez-Hummel am 05. Mai 2022 veröffentlicht.

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