Wer Kinder hat, weiss, es gibt solche und solche Nächte. Nach einer solchen und ohne Mittagsschlaf breche ich semimotiviert zum Landesmuseum auf. Historisches Zürich? Da bräuchte ich mehr Kaffee, denke ich.
Den Kinderwagen bugsiere ich gekonnt die Rampe zum Eingang hoch und erfahre am Info-Desk, dass die Dauerausstellung «Einfach Zürich» kostenlos zu sehen ist. «Einfach Zürich» ist ein von Stadt und Kanton getragener Verein, der in Kooperation mit dem Landesmuseum auf die Spuren der Zürcher Kulturgeschichte geht – drei Räume im Landesmuseum versprechen ein «multimediales Erlebnis».
Das Landesmuseum ist auf Baby und mich vorbereitet. Im Untergeschoss gibt es einen Raum für die Kinderwagen, die nicht mit in die Ausstellungsräume dürfen. Dafür kann man Buggys (nicht für die Kleinsten geeignet) und Tragis ausleihen, ausserdem gibt es einen Wickeltisch. Die Babyfreundlichkeit des Landesmuseum: next level!
Im ersten Stock angekommen, begrüsst uns eine riesige, freundliche Skulptur der Künstlergruppe Mickry 3. Alles andere als trockene Historie. Ganz spielerisch sind berühmte Zürcher Sehenswürdigkeiten und ganz persönliche Eindrücke darin eingearbeitet. Das ohnehin kleine «Haus» von Fischli und Weiss wird in der Skulptur noch einmal verkleinert zitiert. Man findet die Sukkulentensammlung, die rote Fabrik, den Böögg und die offene Rennbahn: für Zürichkenner:innen ein touristisches Suchbild. Auch ganz private Attraktionen gibt es. Zum Beispiel einen Graureiher, heimisch und kauzig.
«Einfach Zürich» zeigt aber nicht nur die Stadt Zürich; auch die Gemeinden kommen nicht zu kurz. In Kürzestfilmen werden zwanzig davon witzig, ironisch und persönlich auf zwanzig Bildschirmen parallel vorgestellt. Heimische Autor:innen porträtieren «ihr» Bubikon, Rüschlikon, Pfungen, Steinmaur und – nicht zu vergessen – das Säuliamt. Unaufdringlich und ruhig sucht diese Installation ihren Platz neben der dichten Skulptur.
Der zweite Raum hat es mir sofort angetan. Ganz unterschiedliche Gegenstände werden in einem Riesensetzkasten ausgestellt und machen mich neugierig: Alltägliches, Kleines, Teures, Riesiges, Komisches, Ekliges und Undefinierbares schaut mich aus den Kästen an. Auf Touchscreen-Stationen finden sich Abbildungen der Exponate wieder – und meine Berührung löst die Geschichte hinter dem Exponat in Bild, Text und Video aus. Dieser Raum bedient mich als Digital Native und Liebhaberin geschichtsträchtiger Gegenstände zugleich. Kunstvermittlung at its finest.
Die Pizzaschachtel erzählt die Geschichte der italienischen Einwanderer, die massgeblich für den Aufbau der Wohnquartiere Zürichs verantwortlich sind. Ich lerne, dass die WC-Ente eine Zürcher Erfindung ist und dass Zürich bis 1867 grosse Probleme mit der Fäkalienentsorgung hatte. Ich drücke auf einen Gegenstand, den ich nicht benennen kann und erfahre, dass es historische Schlittschuhe sind. Seit 1223 war der Zürichsee 26-mal zugefroren und der Beitrag gibt wunderschöne Archivbilder auf den Seegfrörni-Spass der Bevölkerung frei. Angesichts der Klimaerwärmung leider definitv etwas fürs Archiv.
Der letzte Raum zieht uns in die Welt der Topographie. Die filmische Rauminstallation zeigt in vier Fahrten die Tiefen des Hauptbahnhofs, die Natur entlang der Töss, die Zürcher Altstadt und den Seegrund. Baby quietscht vor Freude, mir wird nach einer Zeit eher ein bisschen trümmlig. Ich gehe zurück zum Setzkasten und lerne lieber noch etwas über Zwingli und die Geschichte des Zürcher Rotlichtviertels.
Titelbild: Zürisee 1891 (ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv / Fotograf: Unbekannt)